Donnerstag, 8. Dezember 2016

Skitourismus: Schöne neue Alpenwelt!



Eine Anzeigenkampagne für das Tiroler Zillertal verspricht: „100% Winter!“ Von rustikalem Holz umrahmt soll das wohl signalisieren: Bei uns ist die Welt noch in Ordnung. Dabei rüstet die alpine Skiindustrie rasant auf, um den Touristen den Anblick des Klimawandels zu ersparen – eine beispiellose Materialschlacht im Hochgebirge. Greenpeace findet, die Anzeige sollte ehrlicherweise so aussehen:



„179 topmoderne Liftanlagen“ gibt es im Zillertal, mit einer „Gesamtförderkapazität von 306.150 Personen/Stunde“ – so kann man mal eben die Bewohner einer Großstadt auf die „508 Kilometer perfekt präparierte Pisten“ schaffen. „Österreichs längste Talabfahrt“, „Österreichs steilstes Pistenerlebnis“ und auf dem Hintertuxer Gletscher auch noch „Österreichs einziges Ganzjahresskigebiet“ – die Region protzt mit Superlativen. Nun verspricht eine Werbekampagne auch noch „100% Winter!“ Denn: „Ein bisschen ist einfach nicht genug.“ Dabei wissen wir doch: Auch in Tirol ist der Winter nicht mehr das, was er einmal war – das Klima der Berge wandelt sich sogar mehr als doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. Laut Wiener Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik war das Jahr 2015 in Österreichs hochalpinen Regionen das wärmste seit Beginn der Messungen. „100% Winter“? Davon kann immer seltener die Rede sein. 

Deshalb wandert die Schneegrenze immer weiter bergauf – und mit ihr das wachsende Arsenal von Schneekanonen. In einem verzweifelten Wettlauf gegen die Zeit versuchen die alpinen Wintersportregionen, mit Skigebietserweiterungen, neuen Superseilbahnen und immer mehr Hightech auf der Piste die Konkurrenz zu übertrumpfen und den steigenden Temperaturen zu trotzen. Vor zehn Jahren gab es laut Schätzungen europaweit 3100 Schneekanonen, inzwischen sind es allein in Österreich mehr als 20.000, zwei Drittel der Pisten im Land können künstlich beschneit werden. Der Winter aus der Retorte ist zum Normalzustand geworden – auch im Zillertal, wo bereits 1450 Anlagen zur „technischen Beschneiung“ in Stellung gebracht wurden. Umweltschützer sind über die Entwicklung entsetzt. Als „ressourcenintensiven Luxus“ kritisiert der österreichische Alpenverein die Beschneiung, sie könne „aus klimatischen Gesichtspunkten nur als kurzfristige Maßnahme der Seilbahnindustrie angesehen werden“ und sei „ökonomisch und ökologisch nicht nachhaltig“. Der BUND Naturschutz in Bayern und die Gesellschaft für ökologische Forschung beziffern in ihrer Studie „Der gekaufte Winter“ den Energieverbrauch der künstlichen Beschneiung auf alpenweit 2100 Gigawattstunden pro Saison – das ist etwa so viel, wie eine Stadt mit 500.000 Einwohnern im Jahr verbraucht. Der Wasserbedarf, rund 280 Millionen Kubikmeter pro Saison, entspreche sogar dem dreifachen Jahresverbrauch der Millionenstadt München.
Mithilfe von Baggern und Sprengstoff entstehen riesige Speicherbecken und großflächige Abraumhalden in Hochgebirgslandschaften, deren spezialisierte Vegetation durch den Klimawandel ohnehin in Bedrängnis gerät. Für Wasser-, Druckluft- und Stromleitungen werden tiefe, frostfreie Gräben gegraben, hinzu kommen Pump- und Kompressorstationen, Kühlanlagen und Zubringerstraßen für Lkws. Die Beschneiungsanlagen sind teils in Betonschächten fest installiert, mobile Schneekanonen werden zum Saisonstart mit dem Hubschrauber an Ort und Stelle gebracht. Dort dröhnen sie dann des Nachts auf den beleuchteten Pisten, die mit schweren Raupen planiert werden. Schöne neue Alpenwelt. Natürlich ist es verständlich, dass die Tiroler sich mächtig ins Zeug legen und Abermillionen investieren, um den Winter festzuhalten. Die Tourismusbranche ist der mit Abstand wichtigste Wirtschaftszweig. 

Unverständlich ist jedoch, dass die Skigebiete, ob im Zillertal oder anderswo, nicht weiter in die Zukunft blicken und sich an die Spitze der Klimaschutzbewegung setzen. Nirgends in Europa sind die Auswirkungen der Erderwärmung schon heute so deutlich sichtbar wie in den Alpen, und langfristig sind die Prognosen düster: Um bis zu 5,6 Grad droht sich der Alpenraum im Laufe des Jahrhunderts zu erwärmen. Selbst die weit oben gelegenen Gletscherskigebiete, als schneereiche Ausweichorte immer beliebter, bieten keine langfristige Sicherheit. Auf dem Hintertuxer Gletscher, so erfährt man auf dessen eigener Website, sind fünf Mitarbeiter jedes Jahr monatelang damit beschäftigt, 80.000 Quadratmeter „Gletschervlies“ auszulegen und wieder einzuholen, um die Eisschmelze wenigsten etwas zu verlangsamen. Es gäbe also gute Gründe für weitblickende Touristiker, die Gäste zum Beispiel dazu aufzufordern, zum Schutz des Klimas nur noch mit dem Zug anzureisen – das Zillertal hat eine gute Bahnanbindung. Doch die Zillertal Tourismus GmbH erklärt auf ihrer Website erst einmal stolz, man habe „eine eigene Autobahnausfahrt“ und drei „Flughäfen in der Nähe“. Lieber Schnee, ade!

Quelle: Greenpeace, Grafik: „Keine Anzeige“ des Zillertals – mit neuem Foto und neuem Text – aus dem Greenpeace Magazin „Alpen Spezial“ 1.17