Dienstag, 10. September 2013

Industrienationen: Viel höherer Ressourcenverbrauch als bislang errechnet



Tommy Wiedmann dürfte in dieser Woche einige Politiker und Wissenschaftler vor den Kopf gestoßen haben. Der Ökonom und Nachhaltigkeitsforscher von der australischen Universität New South Wales hat eine Studie veröffentlicht, die ein ziemlich drastisches Urteil über die Folgen des Wirtschaftswachstums in entwickelten Ländern fällt: Die Welt verbraucht viel mehr Ressourcen, als Regierungen und Organisationen wie die UN vorrechnen.

Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch

Damit sich der Ressourcenhunger der Welt nicht bis 2050 verdoppelt und der Planet an seine Grenzen stößt, müssen Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch entkoppelt werden. Glaubt man den bisher kursierenden Zahlen, hat dieser Prozess in höher entwickelten Ländern bereits begonnen. Durch effizientere Technologien, Recycling-Prozesse und die Zunahme des Welthandels sind Länder wie Deutschland für jede zusätzliche Einheit Bruttoinlandsprodukt auf immer weniger natürliche Ressourcen angewiesen, um ihr Wachstum zu treiben. Das ist der Schlüssel zu nachhaltigem Wachstum. Wiedmann und seine Kollegen aber warnen: Dieser als „relative Entkopplung“ von Wachstum und Ressourcenverbrauch bekannte Prozess ist nach ihren neuen Berechnungen viel kleiner als bislang angenommen, und in einigen Ländern findet er noch überhaupt nicht statt.

Materieller Fußabdruck: Die ehrlichere Berechnungsmethode

„Mit den aktuellen Messgrößen sind Regierungen nicht in der Lage, ihren tatsächlichen Ressourcenverbrauch zu messen“, sagt Wiedmann. Weniger Umweltschäden für jedes Prozent Wirtschaftswachstum – das ist offenbar noch frommes Wunschdenken. Für die Berechnungen entwickelten er und Kollegen der nationalen australischen Wissenschaftsagentur CSIRO, der Universität Sydney und der kalifornischen Universität in Santa Barbara ein neues Modell, mit dem sie den Fluss von Rohstoffen in der Weltwirtschaft über einen Zeitraum von 18 Jahren und so den „materiellen Fußabdruck“ von fast allen Ländern der Erde messen konnten. In 2008 wurden demnach weltweit 70 Milliarden Tonnen Rohstoffe abgebaut – die Autoren zählen dazu Eisenerze, Biomasse (also etwa Holz), fossile Brennstoffe und Mineralien. Zehn Milliarden Tonnen wurden direkt gehandelt. In die gewöhnlichen Berechnungen des Ressourcenverbrauchs fließt allerdings nicht die Menge an Rohstoffen ein, die für Förderung und Transport benötigt werden. Das waren den Berechnungen zufolge im gleichen Jahr 29 Milliarden Tonnen. Damit gehen zwei Fünftel der weltweiten Rohstoffe allein für den Export von Gütern und Dienstleistungen drauf. 

Ressourcenverbrauch wächst proportional zum Bruttoinlandsprodukt

Weil diese Menge nie das Herkunftsland verlasse, werde sie nicht adäquat mit berechnet, schreiben die Autoren. Wenn ein deutscher Zulieferbetrieb für die Autoindustrie eine Tonne Stahl verarbeitet, verbraucht er weit mehr als nur eine Tonne Stahl, so das Argument. Das Konzept ähnelt dem des CO2-Fußabdrucks, der die bei Produktion und Transport eines Produkts anfallenden Emissionen mit berechnet und der in der Klimapolitik viel diskutiert wird. Als Alternative zu gängigen Berechnungsmethoden wie dem inländischen Materialverbrauch schlägt Wiedmann nun vor, den „materiellen Fußabdruck“ zum Standard bei der Berechnung des Ressourcenverbrauchs zu machen. Um ihn zu ermitteln, multiplizierten er und seine Kollegen die Nachfrage eines Landes nach Gütern und Dienstleistungen in einem Jahr mit Multiplikatoren, die alle für den Endverbrauch benötigten Materialien repräsentieren. Diese Größen ermittelten sie mit einer gigantischen Menge an Daten, in der Transaktionen von fast 15.000 Industriesektoren in 186 Ländern erfasst sind. Darin zeigt sich: In allen betrachteten Industrieländern wächst der Ressourcenverbrauch annähernd proportional zum Bruttoinlandsprodukt, wenn man den materiellen Fußabdruck zugrunde legt. Von relativer Entkopplung ist dann keine Spur mehr. In absoluten Werten sind die USA der mit Abstand größte Importeur von Rohstoffen, die in gehandelten Gütern stecken, und China der größte Exporteur.

Eine unwahre Geschichte

Die Berechnungsmethode steht nun für jeden bereit, und die Ergebnisse scheinen eindeutig zu sein: Die Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch und dessen negativen Umweltfolgen ist eine unwahre Geschichte – und wird es erst einmal bleiben. Viele, die einen Hoffnungsschimmer für eine nachhaltigere Wirtschaft sahen, werden jetzt also enttäuscht. Die Arbeit beginnt von Neuem.

Mehr zur Studie (engl.):