Alle Jahre wieder verleiht die Siegelorganisation TransFair den
etwas hochtrabend „Oscar des Fairen Handels“ genannten Preis an Unternehmen und
Initiativen, die sich um die „faire Idee“ verdient gemacht haben. Dass in
diesem Jahr nach Rewe und Kaufland (2014) und (Lidl 2016) nun auch der
Discounter Aldi (Nord und Süd) den Preis in der Kategorie 'Handel' entgegen
nehmen durfte, zeigt einmal mehr das Dilemma, in dem Fairtrade Deutschland mit
seinem Produktsiegel steckt: Denn Aldi ist ein knallhart auf Profit ausgerichtetes,
global operierendes Unternehmen, für das Fairer Handel solange interessant ist,
solange man damit Geld verdienen kann. Dafür stellt man sich einige fair
gehandelte Waren ins Regal, macht entsprechend Werbung und lässt sich auf
Veranstaltungen wie dem Fairtrade Award feiern. Kleiner Aufwand, großer Ertrag!
Die Message: Aldi macht was. Aldi ist sozial engagiert, ein guter Discounter.
Nun gibt es leider keine guten Discounter, denn die Geschäftsidee, die dem
Prinzip Aldi, Lidl & Co. zugrunde liegt sind Billigpreise – zumindest
billiger als bei der Konkurrenz. Und für billige Preise muss irgendwo auf der
Welt jemand zahlen. Sei es die Umwelt, die durch pestizidgeschwängerte
Monokulturen und antibiotikaverseuchte Megaställe Schaden nimmt, Kleinbauern,
die im Kampf gegen die Großplantage nebenan den Kürzeren ziehen oder
Näherinnen, die mit Löhnen weit unter Existenzminimum auskommen müssen.
Ein Pakt mit dem Gegner
Wenn Aldi nun ein Dutzend fair gehandelte Produkte ins Sortiment
aufnimmt, stellt sich die Frage: Was ist mit den anderen mehr als 1000
Produkten, die eine Aldi-Filiale anbietet? Einfache Antwort: Leider meist
unfair produziert, darunter Billigbananen aus Ecuador, Billigkakao aus Afrika
sowie Billigkleidung und Billigelektronik aus Asien. Aldi steht – ebenso wie
alle anderen Discounter – für ungerechte globale Handelsstrukturen, für
Lohndumping, für Naturzerstörung. Missstände gegen deren Beseitigung der Faire
Handel ursprünglich angetreten ist. Das Problem für Fairtrade: Um den
Bekanntheitsgrad des Siegels hoch zu halten und um wachsen zu können, ist man mittlerweile
auf die großen Handelsketten angewiesen. Man verbündet sich mit dem Gegner von
damals, um das eigene Überleben zu sichern. Und dies bereits seit 2006, dem
Jahr, in dem Lidl als erster Discounter Fairtrade-zertifizierte Produkte mit
ins Sortiment aufnahm. Auf den ersten Blick eine win-win-win-Situation: Die
Fairtrade-Bauern setzen größere Mengen ihrer Produkte ab, Fairtrade wächst und
Aldi, Lidl & Co. waschen sich rein. In
der Begründung der Jury zur Verleihung des Fairtrade Awards an Aldi heißt es:
„Der Discounter macht eine Vielzahl fair
gehandelter Waren für jeden zugänglich – mit eigens kreierten
Fair-Handels-Eigenmarken, bietet Infos für Mitarbeiter und Kunden und
unterstützt Projekte in den Anbauländern.“ Klingt toll, ist aber an Banalität
kaum zu überbieten:
Wie genau engagiert sich Aldi?
Fair gehandelte Produkte waren auch vor der Preisverleihung an
Aldi für jeden zugänglich – unter anderem bei der Konkurrenz, bei Supermärkten,
bei Bio- und Weltläden. Und auch Eigenmarken sind im Handel nicht gerade etwas
Neues, sondern werden schon seit Jahren bewusst eingesetzt, um Exklusivität und
Kundenbindung zu schaffen. Die nächste Sensation ist nun, dass Aldi sogar Infos
zu den fairen Produkten für Mitarbeiter und Kunden bereit hält. Wer hätte das
gedacht! Aldi und Informationen. Danke Aldi für so viel Engagement. Zudem hilft
Aldi auch vor Ort. Sagt zumindest TransFair in seiner Pressemitteilung zu den
Fairtrade Awards. Was genau Aldi Süd macht, bleibt nebulös. Auf der Aldi Süd Webseite
findet sich hierzu … nichts! Bei Aldi Nord bleibt es bei Allgemeinplätzen.
Beispiel Kaffee: „Die Unternehmensgruppe ALDI Nord setzt seit Ende 2016 bereits
30% nachhaltig zertifizierte Rohkaffees für Eigenmarkenartikel ein; diese sind
nach UTZ, Fairtrade, Rainforest Alliance oder Bio zertifiziert.“ Keine
Information, wie sich die Siegel prozentual aufgliedern, keine Information wie
hoch der Anteil gesiegelter Kaffees bei den anderen Marken ist, die Aldi
anbietet, wo genau Aldi den Kaffee kauft und auch keine Preiskalkulation, die
darlegt, wie groß der Einsatz für den Handel wirklich ist. Transparenz, vor
einigen Jahren Motto der Fairen Woche, bleibt weiter ein Fremdwort für
Discounter. Das geht auch kaum anders, denn wäre man ehrlich, würde man schnell
die Kundschaft vergraulen. Und somit weniger Profit machen. So bleibt es weiter
ein großes Geheimnis, was Aldi und Co. an Kaffee, Schokolade und Bananen aus
Fairem Handel verdienen. Doch es geht auch anders: So präsentieren Unternehmen
wie der Fairhandelsimporteur Gepa oder der Bananenspezialist BanaFair auf ihren
Webseiten Preiskalkulationen zu Produkten wie Kaffee, Orangensaft, Kakao oder Bananen.
Dumpingpreise auch bei fairen
Produkten
Dass Aldi auch bei fair gehandelten Produkten reflexartig auf
billig macht, zeigt der Werbespruch zur hauseigenen Marke ONE WORLD: „Faire
Produkte zum kleinen Preis“. Versucht wird die Quadratur des Kreises. Da kann
es schon mal vorkommen, dass Konkurrent Lidl eine 100 Gramm Tafel Schokoldade
mit Fairtrade-Siegel im Angebot für 0,39 Euro verkauft. Gutes Gewissen zum
Dumpingpreis. Dass der Kakao, der in diesem Produkt ohnehin nur in
mikroskopisch kleinen Mengen enthalten ist, aus dem Fairtrade-Rohstoffprogramm
stammt, dessen eigens hierfür entworfenes Siegel dem Original täuschend ähnlich
sieht, fällt den meisten Konsumenten wohl nicht auf. Lediglich der kleine Schriftzug
„Fairtrade Rohstoffprogramm“ unter dem Siegel gibt einen Hinweis darauf, dass
eben nur der Kakao, aber keine anderen Bestandteile dieser Schokolade aus
Fairem Handel stammen. Bio gibt es zu diesem Preis ohnehin nicht.
Was Fairtrade kann und was nicht
Und die Erzeuger im globalen Süden? Sie profitieren auch –
ein wenig. Noch bleibt TransFair den Nachweis schuldig, dass sein Sozialsiegel
Bauerngemeinschaften dauerhaft aus der Armut geholt hat. Keine Frage: Mit Hilfe
der Fairtrade-Prämie, einem Preisaufschlag für Gemeinschaftsprojekte, konnten
einzelne Kooperativen Verarbeitungsmaschinen anschaffen, die Produktion auf Bio
umstellen oder Sozialprojekte in ihren Dörfern verwirklichen. Mehr aber auch
nicht. Die Lage vieler Kooperativenmitglieder ist prekär: Viele Bauern haben
viel zu kleine Flächen zum Anbau, als dass der Mindestpreis-Effekt des Siegels
zum Tragen käme, sie geben viel Geld für immer mehr Zertifizierungen aus, um
ihre Ware dann doch mangels Nachfrage zu konventionellen Preisen loszuwerden
und sie können was die Kosten betrifft vielfach mit technisch hochgerüsteten
Großplantagen nicht mithalten. Nicht zu vergessen die Folgen des Klimawandels,
der besonders Ländern des globalen Südens zu schaffen macht.
So gut wie niemand muss beim
Discounter einkaufen
Soll ich nun beim Discounter einkaufen, oder nicht? Das ist
eine Frage der Prioritäten, des Verstehens globaler Zusammenhänge, der
Ehrlichkeit zu sich selbst und nur in einigen wenigen Fällen des Geldbeutels.
Der Großteil der deutschen Bevölkerung könnte locker einen Bogen um die
Discounter machen. Denn die Lebensmittelpreise machen nur einen kleinen Teil
der monatlichen Ausgaben aus, und die meisten Menschen verdienen genug, um auch
anderswo fair, bio und regional einzukaufen. Wer beim Discounter shoppt, weiß in
der Regel, was er tut und er weiß meist auch, was für einen Schaden er damit anrichtet.
Zu wenig wissen viele Konsumenten hingegen über den Fairen Handel, seine Siegel
und seine verschiedenen Ansätze. Denn Fairer Handel ist viel mehr als nur
Fairtrade. Kennen Sie die WFTO, die World Fair Trade Organization, die nicht
nur Produkte, sondern das ganze Unternehmen auf Fairness überprüft? Kennen Sie
den Fair-Standard des Bio-Zertifizierers Naturland? Das Hand-in Hand-Siegel von
Rapunzel? Oder gar das relativ neue Kleinbauernsiegel, das weltweit einzige
Label, das den Bauern gehört und mit dem sie ihre Produkte von Plantagenware
unterscheiden möchten. Falls die Antwort zu einer oder mehrerer Fragen Nein
lautet, ist es an der Zeit, sich zu informieren. Statt Lidl, Aldi, Netto und
Penny reicher und mächtiger zu machen, kaufen sie doch lieber im Weltladen um
die Ecke, dem kleinen Bioladen, dem Hofladen vor der Stadt, bei Reformhäusern
und Fairhandelsorganisationen. Zukünftige Generationen und die Umwelt werden es
ihnen danken.
Quelle: Fair einkaufen - aber wie?, Foto Katalog: CIR